Das macht die Seligpreisungen rhetorisch so stark
Die Bergpredigt (Mt 5–7) beginnt nach einer kurzen Einleitung mit 9 sogenannten Makarismen oder Seligpreisungen (5,3-12). Makarismen sind in der Bibel eine weit verbreitete literarische Gattung, doch während sie im Alten Testament hauptsächlich als allgemeine Aussagen in der 3. Person formuliert werden („Selig ist, wer ...“), spricht Jesus die anwesenden Jünger während seiner Bergpredigt auch direkt in der 2. Person an: „Selig seid ihr, ...“.
Auffällig ist auch der immer gleiche parallele Satzbau aller neun Seligpreisungen, der der Predigt eine klare Struktur verleiht. So können die Zuhörer nicht nur problemlos folgen, sondern das Gesagte auch leichter im Gedächtnis behalten. Das Verständnis wird zusätzlich dadurch erleichtert, dass die Bedingungen der Seligkeit prägnant und in wenigen Worten als substantivierte Adjektive und Verben („Selig die Trauernden“, Mt 5,4) formuliert werden.
Bereits mit dem ersten Makarismus gelingt Jesus ein starker rhetorischer Einstieg, der ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit der zuhörenden Jünger sichert: „Selig, die arm sind vor Gott; / denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3).
Er beginnt seine Aufzählung bewusst mit der stärksten Seligpreisung, die das ewige Heil verspricht – nicht nur nach dem Tod, sondern schon im Hier und Jetzt anbrechenden Himmelreich. Dieses ohnehin schon eindrucksvolle Versprechen verstärkt er dadurch, dass er es im achten Makarismus wiederholt (Mt 5,10) und darauf am Ende seiner Aufzählung nochmals Bezug nimmt: „Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel“ (Mt 5,12). Betont wird hier auch der paradoxe Gegensatz von weltlicher Armut und himmlischem Lohn – ein cleveres rhetorisches Stilmittel, mit dem Jesus seine Jünger nicht nur zum Nachdenken animiert, sondern auch dazu, ihr bisheriges Wertesystem zu hinterfragen: Der versprochene Lohn setzt die Leiden und Bedürfnisse in einen neuen Kontext und erlaub es den Zuhörern, diese neu zu bewerten.
Lea Gremm Literaturwissenschaftlerin und Mitarbeiterin des Bibelwerks