Franz Kafka und der Turmbau zu Babel
Franz Kafkas Spuren sind in seiner Heimatstadt Prag überall zu finden – selbst das Stadtwappen ist Titel und Thema einer seiner Prosaskizzen, die auf eine bekannte alttestamentliche Erzählung Bezug nimmt: den Turmbau zu Babel (Gen 11, 1–9).
In dem Fragment ergründet Kafka die Bedeutung der auf dem Prager Stadtwappen abgebildeten geballten Faust und zieht Vergleiche zwischen seiner Heimatstadt und dem biblischen Babylon. In wahrer Kafka Manier enthebt er die Erzählung dabei aus ihrem biblischen Sinnzusammenhang und deutet sie vor dem Hintergrund des 20. Jh. neu: Der Turmbau scheitert bei Kafka nicht an menschlicher Hybris und wird auch nicht durch Gott mit Sprachverwirrung gestraft. Vielmehr ist die Sprachenvielfalt in Kafkas „Babel“ als Teil des österreich-ungarischen Vielvölkerstaats bereits gegeben und Gott spielt in seiner Bearbeitung des Mythos keine Rolle mehr.
Nicht die Umsetzung des Turmbaus, sondern das Vorhaben an sich wird zum Fokus des Projektes: „Das Wesentliche des ganzen Unternehmens ist der Gedanke, einen bis in den Himmel reichenden Turm zu bauen.“
Somit wird die Idee des Turmbaus zunächst zu einem sinnstiftenden Unternehmen, das im Laufe der Zeit jedoch zunehmend an Bedeutung verliert, da es kein erreichbares Ziel – wie etwa die tatsächliche Vollendung des Baus – anstrebt. Der ewig unfertige Turm wird zum Sinnbild für Kafkas unfertigen, fragmentarischen Erzählstil. Die Spannung zwischen dem noblen Vorhaben, der Idee, und der Realität der unerreichbaren Umsetzung kann nur auf eine Art gelöst werden – mit Gewalt: „Alles was in dieser Stadt (...) entstanden ist, ist erfüllt von der Sehnsucht nach einem prophezeiten Tag, an welchem die Stadt von einer Riesenfaust (...) zerschmettert werden wird. Deshalb hat auch die Stadt die Faust im Wappen.“
Lea Gremm Literaturwissenschaftlerin und Mitarbeiterin des Bibelwerks